Dr. Mira Meyer-Ács, Dipl.-Pharm. Lisa Marie Kiesel, Dr. Marc Esser (veröffentlicht in Market Access & Health Policy 2022; 14(6): 24–27)

Die Potenziale im Pricing ausschöpfen

Erstattungsbetragsverhandlungen im AMNOG erfolgreich führen

Teil 1: Lösungsorientierte Kommunikation

Der Erstattungsbetrag ist das zentrale Resultat der Preisbildung für innovative Arzneimittel nach der deutschen Arzneimittelpreisverordnung und bestimmt letztendlich die Höhe der Kosten, die von den Krankenkassen übernommen werden. Für den pharmazeutischen Unternehmer (pU) ist die Höhe des Erstattungsbetrages entscheidend für den wirtschaftlichen Erfolg eines innovativen Arzneimittels auf dem deutschen Markt. Erfahren Sie im ersten Teil unserer Mini-Serie „Erstattungsbetragsverhandlungen im AMNOG erfolgreich führen“, wie das Konzept der lösungsorientierten Kommunikation wesentlich dazu beiträgt, in den Verhandlungen mit dem Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen (GKV-SV) einen attraktiven Erstattungsbetrag zu erzielen.

Hintergrund

Zu Beginn der Markteinführung eines innovativen Arzneimittels in Deutschland besteht für den pharmazeutischen Unternehmer pU die Möglichkeit, den Preis seines Arzneimittels frei zu bestimmen. Währenddessen findet nach dem Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) der Prozess der frühen Nutzenbewertung statt, bei dem zunächst der Zusatznutzen des neuen Arzneimittels festgestellt wird.

Das Verfahren beginnt mit Einreichung des Nutzendossiers beim Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA). Im Nutzendossier stellt der pU die Evidenz zu seinem Produkt dar und weist den Zusatznutzen gegenüber der durch den G-BA bestimmten zweckmäßigen Vergleichstherapie nach. Nach Einreichung des Dossiers erfolgt eine Bewertung durch das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG). Bei Orphan drugs entfällt der Vergleich gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie, und der G-BA übernimmt vorrangig die Bewertung, während das IQWiG in diesen Fällen nur die Darstellung der Therapiekosten und Patientenzahlen prüft. Nach Veröffentlichung der Nutzenbewertung können der betroffene pU, medizinische Fachgesellschaften und andere pharmazeutische Unternehmer eine Stellungnahme dazu einreichen. Danach hat der betroffene pU die Möglichkeit, sich im Rahmen der mündlichen Anhörung zu seinem Arzneimittel zu äußern. Im Anschluss fällt der G-BA einen Beschluss über den Zusatznutzen des zu bewertenden Arzneimittels.

Kurze Zeit nach Veröffentlichung des G-BA-Beschlusses erhält der pU ein Einladungsschreiben zu den Erstattungsbetragsverhandlungen mit dem GKV-SV. Scheitern die Verhandlungen, wenn keine Einigung über den Erstattungsbetrag erzielt werden kann, schließt sich ein Schiedsstellenverfahren an.

Die Rahmenbedingungen der Verhandlung

Die Bedingungen der Erstattungsbetragsverhandlungen sind in der Rahmenvereinbarung zwischen GKV-SV und den Verbänden der Pharmaindustrie festgelegt [1]. Die Verhandlungstermine werden seitens des GKV-SV so terminiert, dass die Erstattungsbetragsverhandlung innerhalb von sechs Monaten nach Veröffentlichung des G-BA Beschlusses zur Nutzenbewertung abgeschlossen ist. Regelhaft werden vier Verhandlungstermine zu jeweils vier Stunden angesetzt, die in begründeten Fällen unter Zustimmung beider Verhandlungsparteien erweitert werden können. Sowohl GKV-SV als auch pU dürfen mit fünf Personen an den Verhandlungen teilnehmen (Abbildung 1), wobei in begründeten Ausnahmefällen auch bis zu sieben Personen gestattet sind. Zu Beginn des ersten Verhandlungstermins teilen beide Parteien mit, wer die Verhandlungsführung übernimmt. Ein Wechsel der Verhandlungsführung nach einem Termin ist möglich und der anderen Vertragspartei rechtzeitig vor Beginn des nächsten Termines mitzuteilen. Ebenso ist zu jedem neuen Verhandlungstermin eine Veränderung des Verhandlungsteams prinzipiell möglich. Für jede Verhandlung stellt der GKV-SV einen Protokollführer für die Erstellung eines Ergebnisprotokolls. Der Wortlaut des Protokolls wird am Sitzungsende abgestimmt und von beiden Verhandlungsführern unterschrieben. Zu Beginn jeder Verhandlung verständigen sich beide Parteien über die finale Tagesordnung. Durch das Einbringen von eigenen Tagesordnungspunkten kann der pU hierbei einen entscheidenden Einfluss auf den Verlauf der Verhandlung nehmen.

Ursprünglich als Präsenzveranstaltung konzipiert, wird die Preisverhandlung seit Beginn der Corona-Pandemie als virtuelles Meeting durchgeführt. Das Verhandlungsteam des pU kann dabei entscheiden, ob es sich von einem gemeinsamen Ort aus zum Meeting einwählt oder, ob jeder Teilnehmende remote dem Meeting beitritt. Bei der zuletzt genannten Variante empfiehlt es sich, einen zweiten Kommunikationskanal wie einen separaten Online-Meeting-Raum zu eröffnen, damit sich das Team rund um den pU in den Verhandlungspausen, aber auch in kritischen Situationen während der Verhandlung austauschen kann. 

Die Verhandlungsteams an einem Tisch
Abbildung 1: Die Verhandlungsteams an einem Tisch. Quelle: co.value

Das Ziel: Win-win-Ergebnisse schaffen

Die Erstattungsbetragsverhandlungen sollen einen Interessensausgleich zwischen GKV-SV und pU schaffen. Auf der einen Seite des Verhandlungstisches sitzt der pU, der nach vielen Jahren der Forschungstätigkeit ein innovatives Produkt auf den Markt bringt, welches die Patientenversorgung verbessert. Auf der anderen Seite befindet sich der GKV-SV, der dafür Sorge zu tragen hat, dass eine gute Patientenversorgung mit innovativen Arzneimitteln für das deutsche Solidarsystem finanzierbar bleibt.

Erscheinen die Interessen beider Parteien zunächst als gegensätzlich, so überschneiden sie sich letztendlich in einem wichtigen Punkt – beide Seiten möchten einen Beitrag zur Optimierung der Patientenversorgung leisten. Eine Win-win-Situation entsteht somit, wenn es beiden Parteien gelingt, sich auf einen Erstattungsbetrag zu einigen, der einerseits für den pU profitabel ist und andererseits finanzierbar bleibt.

Ein schwieriges Verhandlungsfeld

Da die Erstattungsbetragsverhandlung von unterschiedlichen finanziellen Interessen der Verhandlungsparteien geprägt ist, birgt sie zunächst ein hohes Konfliktpotenzial. Während der GKV-SV über eine große Routine bei den Erstattungsbetragsverhandlungen verfügt, bringen die Mitglieder des Verhandlungsteams auf Seiten des pU häufig geringere Erfahrung in dieser speziellen Verhandlungssituation mit. Doch so hoch der Druck sein mag und so ungewohnt die Situation erscheint, auch ein (Konflikt-)Gespräch unterliegt Regeln, die die Kommunikationswissenschaft in den letzten Jahrzehnten genaustens untersucht hat.

Bei co.value setzen wir auf die lösungsorientierte Kommunikation, die wir nach dem Konzept von Marshall Rosenberg [2] an die spezielle Situation der Erstattungsbetragsverhandlung adaptiert haben.

Die wertschätzende Haltung ermöglicht die lösungsorientierte Kommunikation

Grundlegend für das Konzept der lösungsorientierten Kommunikation ist die wertschätzende Haltung sowohl den eigenen Werten und Bedürfnissen als auch denen des Verhandlungspartners gegenüber. Allein diese Haltung ermöglicht die Entstehung von Win-win-Situationen, so wie im Feld 1 der Abbildung 2 dargestellt wird. Feld 1 zeigt Verhandlungspartner, die ihre Werte und Bedürfnisse gegenseitigen schätzen und dadurch in der Lage sind, miteinander zu verhandeln und darüber hinaus sogar zu kooperieren. Von dieser Situation profitieren beide Partner: ein Win-win-Ergebnis wird erzielt. Feld 2 zeigt dagegen eine Situation, in der der pU seine Werte und Bedürfnisse über die des Verhandlungspartners GKV-SV stellt. Theoretisch führt diese Situation dazu, dass der pU den dominanten Part der Verhandlung einnimmt und sich durchsetzt (Win-lose). In der Praxis wird der GKV-SV in den seltensten Fällen eine solches Vorgehen seitens des pU akzeptieren, so dass praktisch die in Feld 4 dargestellte Situation resultieren wird: Aus wechselseitig mangelnder Wertschätzung entsteht eine kommunikative Sackgasse, in der beide Verhandlungspartner ihre Ziele nicht erreichen (Lose-lose). Die Verhandlungen fahren sich fest oder werden im schlimmsten Fall abgebrochen, und die Parteien gehen im Streit auseinander. Ein besonderes Augenmerk ist auf die Situation in Feld 3 zu richten, in der sich unerfahrene Verhandlungsteams auf Seiten des pU häufig wiederfinden: Der GKV-SV stellt seine Werte und Bedüfnisse über die des pU. Es entsteht eine Situation, in der das Team des pU den Blick für die eigenen Interessen verliert und sich beispielsweise einem Rechtfertigungsdruck ausgesetzt sieht. Im Interesse der Wahrung einer scheinbar guten Gesprächsatmosphäre gibt das Verhandlungsteam des pU die Wahrung der eigenen Interessen auf (Lose-win). Dies ist kennzeichnend für eine sogenannte „schwierige Verhandlungssituation“ und kann durch ein geeignetes Training im Vorfeld vermieden werden. 


Die vier möglichen Haltungen des pU zu den Bedürfnissen der Verhandlungspartner
Abbildung 2: Die vier möglichen Haltungen des pU zu den Bedürfnissen der Verhandlungspartner. Quelle: co.value

Mit vier einfachen Schritten lösungsorientiert kommunizieren

Wesentlich für die erfolgreiche Kommunikation mit dem Verhandlungspartner sind die vier Schritte, die in Abbildung 3 dargestellt sind.

Grundlegend ist, dass sich die Mitglieder des Verhandlungsteams ihrer persönlichen Werte und auch ihrer Bedürfnisse, auf deren Basis sie die Verhandlung führen, bewusst sind. Nur so können sie dem Verhandlungspartner selbstbewusst und auf Augenhöhe begegnen (1). Während der Verhandlung ist die Präsenz und die Verbindung mit dem Verhandlungspartner von hoher Bedeutung: Beobachtungen (2) sollten möglichst frei von Interpretationen und Analysen zum Verhalten des Gegenübers sein, und sich rein an den Geschehnissen und dem Gesagten orientieren. Diese Achtsamkeit ermöglicht die Formulierung von Bitten (3), also von Lösungsvorschlägen, die der Verhandlungspartner auch ablehnen darf. Unterstützt wird dieser Prozess durch die Verbindung mit den eigenen Gefühlen und Empfindungen (4), die für eine empathische Kommunikation sorgt und das Bewusstsein über die persönlichen Werte und Bedürfnisse in jedem Moment aufrechterhält.

Die vier Schritte müssen weder der Reihe nach abgearbeitet noch in der Gesamtheit artikuliert werden. Internalisiert führen diese Schritte jedoch zur Umsetzung einer wertschätzenden Haltung, die für die Erzeugung von Win-win-Situationen bei der lösungsorientierten Kommunikation entscheidend ist.

An einem typischen Beispiel wird der Wert des lösungsorientierten Ansatzes deutlich: Der Verhandlungspartner stellt eine kritische, nicht ganz einfach zu beantwortende Nachfrage zum Produkt. Der konventionell vorbereitete pU reagiert: In Windeseile wird analysiert, welche Absichten der Verhandlungspartner mit der Frage möglicherweise verfolgt. Da hierüber keine Sicherheit gewonnen werden kann, tritt eine Verunsicherung ein, die in eine Verstimmung kippen kann. Im schlechtesten Fall wird eine Antwort geliefert, die nicht ausgereift ist, die Gesprächsatmosphäre verschlechtert und/oder den Interessen des pUs entgegensteht.

Der mit dem Konzept der lösungsorientierten Kommunikation vorbereitete pU ruft sich ins Bewusstsein, welche Werte er verfolgt. Beispielsweise möchte er die Patientenversorgung verbessern und dafür sorgen, dass sein Unternehmen weiterhin hochinnovativ forschen kann (1). Er hört die Nachfrage frei von Interpretation (2) und erfasst diese nicht als Kritik auf, sondern er agiert souverän: Frei von Druck überlegt er, ob die gestellte Frage zur Klärung des Sachverhalts beiträgt und wie die Frage beantwortet werden kann. Indem er sein Bauchgefühl einbezieht (4), gelangt er zu einer adäquaten Strategie (3). Ist er beunruhigt, so erbittet er möglicherweise eine Pause und holt sich eine Rückmeldung von seinem Verhandlungsteam ein. Ist er verwundert, da er die Frage nicht nachvollziehen kann, so äußert er dies und gelangt darüber in einen klärenden Dialog mit dem Verhandlungspartner. Fühlt er sich ratlos, da er schlichtweg die Antwort nicht kennt, so bittet er vielleicht um eine Aufschiebung des Punktes in die nächste Verhandlungsrunde. Ist er über die Nachfrage sogar erfreut, da er sich selbst bereits lange mit dieser Frage beschäftigt hatte, beantwortet er diese im besten Bewusstsein seiner Werte. In jedem Fall wird dabei die Verhandlung schrittweise unter Wahrung der Interessen des pUs weitergeführt.

Das Modell der lösungsorientierten Kommunikation, adaptiert nach Rosenberg
Abbildung 3: Das Modell der lösungsorientierten Kommunikation, adaptiert nach Rosenberg. Quelle: co.value

Nur auf den ersten Blick steht das Modell der lösungsorientierten Kommunikation im Gegensatz zum verbissenen Verhandlungsstil, den man für eine Verhandlung erwarten würde, hinter der nicht zuletzt handfeste kommerzielle Interessen stehen. Tatsächlich bietet die hier skizzierte Methode eine Verhandlungsführung, die selbstbewusst und direkt ist. Gleichzeitig gelingt es mit unserer Methode, auch bei hartem Austausch von Argumenten ein respektvolles Miteinander zu wahren. Unsere Methode hat sich insbesondere in schwierigen Verhandlungssituationen bewährt: Dem Verhandlungsteam gelingt es zu jeder Zeit, sich die eigenen Werte und Bedürfnisse bewusst zu machen, so dass die eigenen Interessen gewahrt bleiben.

Fazit

Die lösungsorientierte Kommunikation hat sich in den Erstattungsbetragsverhandlungen zwischen GKV-SV und pU bewährt. Es handelt sich um ein Konzept, welches leicht erlern- und anwendbar ist und damit auch unerfahrene Verhandlungsteams schnell erfolgreich verhandeln lässt.

Erfahren Sie im zweiten Teil unserer Mini-Serie „Erstattungsbetragsverhandlungen im AMNOG erfolgreich führen“, wie Sie eine Value Story zu Ihrem Produkt in der Erstattungsbetragsverhandlung mit dem GKV-SV überzeugend formulieren und einsetzen.

Quellen

[1] GKV-Spitzenverband und Verbände der pharmazeutischen Unternehmer. Rahmenvereinbarung nach § 130b Abs. 9 SGB V. Verfügbar unter: https://www.gkv-spitzenverband.de/media/dokumente/krankenversicherung_1/arzneimittel/rahmenvertraege/pharmazeutische_unternehmer/2022-05-04_Rechtlich_unverbindliche_Lesefassung_RahmenV_nach_130b_Abs_9_SGB_V.pdf, letzter Zugriff am 14.10.2022.

[2] Rosenberg MB. Nonviolent Communication. 3rd edition. PuddleDancer Press; 2015.