Dr. Marc Esser, Nathalie Engelhaus, M.Sc. (veröffentlicht in Market Access & Health Policy 2020; 10(2):22–24).

Die Value Story im Market Access

Strategische Grundlage für den erfolgreichen Markteintritt

Viele Unternehmen sind im Dialog mit Stakeholdern im Market Access noch zu sehr auf vordergründige Produktvorteile fokussiert. Natürlich kann man sich begeistern für eine neue Technologie oder einen interessanten »Mode of Action«, aber was hat der Payer, der Arzt oder der Patient davon? Hier kommt es darauf an, von einer technikverliebten Argumentation konsequent auf eine am Value orientierte Argumentation umzustellen, die sich an den Interessen der jeweiligen Zielgruppe ausrichtet. Dabei ist die Value Story von zentraler Bedeutung, sie ist die strategische Grundlage jedes erfolgreichen Markteintritts.

Value überzeugend kommunizieren mit der Value Story

Im Market Access gilt es nicht nur die Payer mit ökonomischen Vorteilen zu überzeugen, vielmehr mischen hier noch weitere Stakeholder mit: Das sind zum einen die Leistungserbringer wie Ärzte, deren besonderes Interesse darin besteht, eine effektive und moderne Therapien anzubieten mit kontrollierbaren Nebenwirkungen, und die dabei natürlich auch auf die eigene Honorierung schauen. Dann die Patienten, deren Hauptinteresse ebenfalls darin liegt, eine sichere und effektive Therapie zu erhalten, bei der die Kosten von der Krankenversicherung möglichst vollumfänglich getragen werden. Die Vielfalt der Stakeholder zu erkennen und im Rahmen der Nutzenkommunikation die verschiedenen Perspektiven einzunehmen, sind wichtige Schritte auf dem Weg zum erfolgreichen Market Access. Konkrete Fragen, die sich das Unternehmen dabei stellen und beantworten sollte sind beispielsweise: Welche Ärzte oder auch nicht-ärztliche Leistungserbringer sollen das Produkt wann bei welchen Patienten einsetzen? Was haben Payer davon, diesen Einsatz finanzieren? Die Antworten gibt eine Value Story, die genau diese unterschiedlichen Interessen intelligent und logisch miteinander verknüpft und so für jede Zielgruppe den Value des Produktes überzeugend kommuniziert. Die Value Story adressiert jedoch nicht nur externe Stakeholder, sie sie ist auch intern ein wichtiges Kommunikationswerkzeug, um eigene Mitarbeiter vom Wert des Produktes zu überzeugen und zu motivieren, dafür zu sorgen, dass es kommerziell erfolgreich wird.  

Value in Abhängigkeit vom Kontext

Die Kombination aus demographischem Wandel und medizinischem Fortschritt setzt die Gesundheitssysteme extrem unter Druck. Heute wird »Value for Money« konsequent von den Payern eingefordert. Innovation ist kein Selbstzweck, sondern ist nur noch dann gefragt, wenn sie in der Behandlung der Patienten einen erkennbaren Zusatznutzen im Vergleich zur derzeitigen Standardtherapie darstellt und dabei wirtschaftlich ist. Die Kostenträger müssen sicherstellen, dass mit den vorhandenen limitierten Ressourcen eine flächendeckende Versorgung mit nützlichen und innovativen Medikamenten geschaffen wird, den Herstellern obliegt hierfür die Beweislast. Sie müssen sich angesichts dieser neuen Realität die Frage stellen, ob es tatsächlich ausreicht, den Stakeholdern lediglich die Fakten zu ihrem Produkt zu präsentieren oder ob man nicht stattdessen mehr leisten sollte, um Adressaten zu überzeugen: eine packende Geschichte, die der strategische Kompass auf dem gesamten Weg der Markteinführung ist – die Value Story. In der Abwägung zwischen Produktnutzen und Produktkosten kann die Value Story vor allem dann ausschlaggebend sein, wenn sowohl der Nutzen als auch die Kosten höher sind im Unterschied zu vergleichbaren Produkten, was der häufigste Fall sein dürfte. Bringt die Innovation hingegen weniger Nutzen und ist sogar teurer, kann die beste Value Story wenig bewirken. Sind sowohl Nutzen- als auch Kostenvorteile zu verzeichnen, wird auch eine nur mittelmäßige Value Story den Erfolg des Produktes nicht verhindern. Zuletzt wird ein geringerer Produktnutzen bei geringeren Kosten mit einer entsprechenden Value Story ebenfalls sein Publikum finden (Tabelle 1).

Value Story bei verschiedenen Konstellationen von Produktnutzen und Kosten

Tab. 01: Möglicher Effekt einer Value Story bei verschiedenen Konstellationen von Produktnutzen und Kosten

Inhalte und Dramaturgie einer Value Story

Eine gute Value Story zeichnet sich formal dadurch aus, dass sie die einzelnen Value Messages zu einer strategisch sinnvollen Einheit verbindet. Eine typische Value Story beginnt damit, den Hintergrund der Krankheit zu beleuchten, die Epidemiologie und die Krankheitslast bzw. Disease Burden zu beziffern. Sich daran anschließend werden die gegenwärtigen Therapiemöglichkeiten diskutiert und deren Lücken – die »Unmet Medical Needs« – offengelegt. Ist damit der Rahmen für die Geschichte geschaffen, kann das Produkt vorgestellt werden, indem seine Wirkungsweise erläutert wird und sowohl klinische Daten aus den pivotalen Studien (Clinical Value) als auch ökonomische Daten (Economic Value), etwa aus vorhandenen Budget-Impact-Analysen, präsentiert werden. Eine gute Value Story zeichnet sich dadurch aus, dass das dargelegte Produktprofil mit den Unmet Medical Needs, dem Economic Value, dem Clinical Value und der Disease Burden ineinandergreifen (Abb. 1). Idealerweise hat das Produkt das Potential die Krankheitslast zu verringern und die Unmet Medical Needs zu erfüllen. Dies sollte in der Value Story unmissverständlich deutlich werden. Für unterschiedliche Produkte sind hier verschiedene Ansätze angebracht: Bei einer Krankheit mit hoher Prävalenz wie Diabetes ist die Krankheitslast offensichtlich. Jedoch kann die finanzielle Belastung durch neue Medikamente für das jeweilige Gesundheitssystem sehr hoch und ein positiver Nettoeffekt aus ökonomischer Perspektive fraglich sein. Im Gegensatz dazu ist bei Orphan Diseases die Krankheitslast für die Gesellschaft vergleichsweise gering. Andererseits entstehen jedoch oft auch nur geringe finanzielle Belastungen durch die Einführung neuer Medikamente für seltene Krankheiten. Diese beiden Extremfälle machen deutlich, dass jede Value Story eine individuelle Dramaturgie braucht.

Kernelemente einer Value Story

Abb. 01: Kernelemente einer Value Story

Value erzählen mit Storytelling

Für das Erzählen einer Value Story kann es lohnenswert sein, sich näher mit dem Konzept von Storytelling zu beschäftigen. Mit Storytelling beschreitet man einen neuen Weg, um über ein Produkt oder ein Unternehmen zu kommunizieren und Emotionen zu wecken. Es geht darum, die Geschichte eines Produkts, auf spannende Art und Weise zu erzählen und einen »Mythos« zu schaffen: Hinter der Entdeckung eines jeden Produktes, steckt eine menschliche Seite, eine persönliche Geschichte von Menschen, die Anstrengungen auf sich genommen haben, und von Patienten, die hiervon profitieren, z.B. indem sie länger leben oder weniger Beschwerden haben. Die Arbeit im Storytelling-Prozess verlangt journalistisches Geschick für die Recherche und besteht darin, mit vielen Beteiligten z.B. aus Forschung und klinischer Entwicklung sowie mit Prüfärzten und natürlich auch Patienten zu sprechen, um Erzählenswertes rund um das Produkt in Erfahrung zu bringen.

Nach Recherche dieser ganzen Fakten kommt es darauf an, das umfangreiche Material zu bewerten. Diese Bewertung sollte sowohl unter dramaturgischen Gesichtspunkten als auch unter strategischen Gesichtspunkten des Market Access erfolgen. Woraus lässt sich eine Story machen? Und wie soll man ein Produkt aus Sicht des Market Access positionieren? Auch ungewöhnliche Wege können in Einzelfällen beschritten werden. Vielleicht hat man das Produkt zunächst für eine andere Indikation entwickelt oder glückliche Umstände haben den Erfolg erst möglich gemacht. Irren ist menschlich und macht sympathisch. Nicht diejenigen Helden einer Story sind besonders beliebt, die perfekt sind, sondern die, die auch Schwächen zeigen und dadurch menschlich wirken.

Patienten stehen immer im Mittelpunkt

Eine gute Value Story muss heute unbedingt patientenzentriert sein. Die wichtige Rolle, die Patienten in der Nutzenbewertung und in anderen Bereichen des Gesundheitswesens haben, wird vielfach im Market Access noch nicht richtig adressiert. Viele Pharmaunternehmen haben sich in der Vergangenheit lediglich auf die Kooperation mit Ärzten konzentriert. Aber Ärzte kennen nur einen Teil des Bildes und wissen häufig nicht, was vor der Diagnose passiert, in Behandlungspausen und nach Behandlungsabbruch. Patienten – und dies gilt insbesondere für chronische Erkrankungen – sind inzwischen oft selbst Experten für ihre Erkrankung. Besonders interessant ist für die Industrie die Zusammenarbeit mit sogenannten Expertenpatienten. Expertenpatienten sind Spezialisten für eine bestimmte Indikation, verfügen über die Fähigkeit, dieses Wissen zu artikulieren, und sind bereit, mit Pharmaunternehmen zu kooperieren. Wir haben bei co.value sehr gute Erfahrungen mit der Durchführung von Patient Advisory Meetings gemacht, in denen Patienten ihren Standpunkt formulieren und mit Mitarbeitern von Pharmaunternehmen austauschen. Diese Meetings sind ideal geeignet, eine patientenorientierte Value Story zu entwickeln.

Um Krankheitsprozesse vollständig zu erfassen, sind Pharmaunternehmen gut beraten, eine Patient Journey zu erstellen und dabei Patienten direkt zu beteiligen. Eine Patient Journey zeigt vereinfacht gesagt den Weg eines Patienten durch seine Erkrankung, angefangen von den ersten Symptomen bis hin zur Nachbeobachtung nach einer erfolgreichen Therapie. Alle Abzweigungen oder Kreuzungen auf diesem Weg sollten dargestellt und mit Motiven und Handlungswahrscheinlichkeiten versehen werden. Durch die visuelle Darstellung einer Patient Journey wird die Komplexität des Prozesses leicht erfassbar.

Einsatz der Value Story

Eine Value Story kann über verschiedenste Kanäle und Materialien transportiert werden. Ausgangspunkt ist dabei oftmals das Global Value Dossier (GVD), das alle Aspekte des Produktnutzens enthält und in der Regel für die interne Verwendung bestimmt ist. Hieraus können dann idealerweise die für den jeweiligen Zweck passenden Elemente der Story entnommen und je nach Zielgruppe und Zweck adaptiert werden. Beispielsweise wird man im AMNOG-Dossier und der Preisverhandlung mit dem GKV-Spitzenverband sicherlich formalistischer argumentieren müssen als gegenüber Ärzten, Patientenvertretern oder Medizinjournalisten. Hier gilt es mit viel Fingerspitzengefühl das richtige Wording und die perfekte Gewichtung der Argumente zu finden. Seine stärkste Kraft entfaltet das Storytelling, wenn es mündlich geschieht, hier liegen auch seine Wurzeln. Bis vor wenigen Jahrhunderten existierten Geschichten nur in der mündlichen Überlieferung.

Value Storys sind nicht nur für neue Medikamente interessant, sondern auch für bereits auf dem Markt etablierte Produkte, für die z.B. durch den Ablauf des Patents und die generische Bedrohung neue Hürden entstehen. So kann eine gut durchdachte Value Story auch lange nach dem Marktzugang von Abteilungen wie Marketing und Sales eingesetzt werden, um den Wert des Produktes zu erhalten. Dabei ist zu beachten, dass eine Value Story für ein etabliertes Produkt häufig andere Adressaten hat als die für ein neues Produkt. Hier gilt es also genau zu überlegen, wer angesprochen werden soll.

Fazit: Die Value Story ist die strategische Basis für die erfolgreiche Kommunikation des Wertes eines Produkts. Das gilt sowohl für die Market-Access-Strategie als auch für spätere Phasen im Produktlebenszyklus. Mit dem Beauftragen eines erfahrenen Dienstleisters für Market Access stellen Sie die gekonnte Entwicklung einer Value Story sicher.